Konstruieren – die Kunst der Konstrukteure

Im Gegensatz zu vielen anderen Berufen, die man in der Öffentlichkeit und im Fernsehen kennenlernt, hat kaum einer eine Vorstellung von dem Schaffen eines Konstrukteurs oder Projektleiters oder Erfinders; es gibt nur lustig gemeinte Karikaturen und Sprüche. Dabei ist alles, was man kaufen kann (oder auch nur sieht), schon einmal technisch gezeichnet worden, vermutlich bis hin zum Obst; und hinter einer Zeichnung stecken immer technische Überlegungen. Trotzdem: Keine Vorstellung. Es gibt weder Wertschätzung noch Geringschätzung, mangels eigener Erfahrung und Anschauung. Konstrukteure sind knapp – so wie vor 50 Jahren.

Ingenieur-Studienanfänger haben überwiegend keine Vorstellung davon, was die Arbeit eines Konstrukteurs ist; sie kennen weder die Anstrengungen noch die Belohnungen. Entsprechend wenig arbeiten in den konstruktiven Fächern mit Spaß und Erfolg mit.

Konstruieren muss wieder attraktiver werden
“Die Konstruktion muss wieder attraktiver werden.” – Dr.-Ing. Ulrich Viebahn (Bildlizenz: CC BY-ND 2.0)

Ein Konstrukteur wendet Funktionen aus der Natur an

Konstrukteure sind eigentlich alle diejenigen, die Dinge und Systeme (nicht nur Maschinen) gestalten und dabei einen Gestaltungsspielraum haben. Sie verwenden innerhalb dieses Gestaltungsspielraumes bestimmte (physikalische, chemische, usw.) Prinzipien, räumliche Strukturen, Werkstoffe und Formen. Auch bereits fertige und bewährte Baugruppen. Für was sie sich dabei entscheiden, hängt von ihrer Erfahrung, ihrem Gefühl für das spätere Funktionieren und ingenieurmäßigen Hilfsmitteln ab. Bastler und Tüftler konstruieren auch: einzigartige und schwierige Dinge; wenn auch auf eigene Kosten.

Praktische Konstrukteursarbeit ist nicht wissenschaftlich. Das wäre umständlich und langsam und garantierte nicht einmal eine gute technische Lösung. (Ein Text wird völlig unverständlich, wenn er wissenschaftlich präzise formuliert ist. Deshalb können wir etwas grober argumentieren – selbst wenn wir damit ein Tor für Spitzfindigkeiten öffnen.) Wir können uns aber auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen: Werkstoffkunde, Chemie, Physik, Physiologie, Psychologie. Wenn wir wissenschaftliche Erkenntnisse verstanden haben, können wir uns viel Arbeit und Rückschläge sparen.

Technik ist die künstliche oder zwingende Anwendung von Funktionen aus der Natur, die dort ohne weiteres Zutun von alleine funktionieren – natürlich meistens viel zu langsam und sehr energiearm. Um bescheiden zu bleiben: Die meisten Vorgänge aus der Biologie können wir technisch nicht erzwingen. Und selbst wenn: teuer und unelegant.

Konstruieren braucht Lehrmeister und Erfahrung

Die Archäologie zeigt uns, dass auf der Welt immer schon gut konstruiert wurde – Jahrtausende vor der Ausbildung von Technikern und Ingenieuren in Schulen. Erst mit dem Entdecken der Funktionen aus der Natur konnten sie mehr und mehr davon technisch anwenden. Deshalb hat sich die Ausbildung von Ingenieuren von Anfang an auf das Verständnis der Funktionen aus der Natur gestützt. Zusätzlich wurde gelehrt, welches Verfahren oder welche Maschine (und wie) bereits funktioniert hat.

Neue Verfahren und Maschinen wurden aber nicht an den Schulen, sondern von den Praktikern in Manufakturen und der Industrie verwirklicht. Viele bedeutende Erfindungen stammen auch aus Handwerksbetrieben. Dass die Praktiker oft geringe theoretische Kenntnisse hatten, war nicht schlimm: Sie hatten (meist konservative) Lehrmeister, die ihnen Sicherheit gaben und konnten täglich (unvergessliche) Erfahrungen sammeln. Diejenigen, die sich etwas trauten – von ausgelobten Preisen oder Ruhm oder Not angetrieben – haben Dinge geschaffen, deren technisches Niveau immer besser wurde. Die Sachen wurden sicherer, schneller, leistungsfähiger, größer (wenn das das Ziel war), billiger, einfacher zu bedienen und verbrauchten weniger Energie.

Interessant ist, dass es offensichtlich keine eine beste Lösung gibt: Dasselbe Leistungsniveau wurde oft mit ganz verschiedener Technik erreicht. (Raumfahrt, Lokomotiven, Automobile, Rechner, Gebäude, Möbel, Bekleidung, Motoren, …) Deshalb ist es aussichtslos, nach Rezepten zu konstruieren – ohne Erfahrungs-Gefühl, ohne Intuition.

Kreativität und Intuition können nicht auf Computer übertragen werden

Intuition ist nicht lehrbar und nicht prüfbar. Was macht die Lehre? Sie bevorzugt das Lehrbare und das Prüfbare. Das ist einerseits das verästelte Katalogwissen der Spezialfächer und das sind andererseits Werkzeuge wie höhere Mathematik, Maschinendynamik, Simulation und vor allem CAD. Die Versprechungen der CA-Techniken vor 50 Jahren haben sich nur zum kleinen Teil erfüllt. Im Werkzeugbau und in der Simulation (z.B) sind sie heute tatsächlich unverzichtbar: zur Eingabe von Daten.  Das aber macht CAD gerade nicht zum Hilfsmittel beim Probleme lösen, fördert nicht Kreativität und ersetzt nicht Intuition.

Das hätte man schon vorher wissen können. Zu Beginn des Computer-Booms zeigten die Brüder Dreyfus (ziemlich logisch und nachvollziehbar), dass Künstliche Intelligenz ein nicht zu haltendes Versprechen ist; eben nur eine Methode, Geld für Institute locker zu machen. Tragisch ist, dass die Ankündiger der Künstlichen Intelligenz nach 30 Jahren einräumen mussten, dass sie Künstliche Intelligenz nicht vorführen können. (siehe Dreyfus, Hubert und Stuart: Mind over Machine. New York: The Free Press 1986)

Die CA-Programme erhalten regelmäßig “neue” Funktionen, verlieren Funktionen; sie werden unübersichtlicher in der Bedienung und machen das Konstruieren nicht leichter und nicht effizienter. Die Älteren haben sich daran gewöhnt und die Jüngeren kennen es nicht anders: Die CAD-Zeichnungen sind undeutlicher als (überlegte) manuelle Zeichnungen. Inzwischen sitzen die meisten (sogar Halbwüchsige) vor dem CAD. Kein Wunder: Hinter Verkauf und “Wartung” von CAD stehen kräftige wirtschaftliche Interessen.

Konstruktionsmethodik ist toll – sie kommt aber in der Konstruktionspraxis nicht an

Das CAD versprach zusätzlich eine schrittweise Teilautomation des Konstruktionsprozesses (im engl. Sprachraum “design”). Schon lange vor dem CAD gab es Bücher zum systematischen Konstruieren als Anleitung und Hilfestellung für mehr Effizienz in den Konstruktionsbüros. Im Gegensatz zum CAD arbeiten wenig Konstrukteure nach einem System. Das systematische Konstruieren ist nämlich freiwillig.  Um dessen Vorteile zu genießen, müsste man es kennenlernen, verstehen, mit einem Meister üben und berufliche Erfahrung damit sammeln. Die Übertragung in den Beruf ist bisher nicht gelungen. (Sollte man nicht die Praktiker bei den akademischen Konstruktionsmethodikern “mitmachen” lassen?) Der Wettbewerb zwischen den verschiedenen “Schulen” ist seit der VDI-Richtlinie 2222 entschieden; sie hat die alltäglichen Bedürfnisse und Gewohnheiten nicht aus dem Auge verloren: Jedes einzelne Werkzeug kann man isoliert für sich benutzen. Sie akzeptiert, dass Intuition und Erfahrung allein auch zu guten Lösungen führen können. Und sie serviert Regeln und Theorien, denn nichts ist praktischer als eine gute Theorie.

Konstruktion muss wieder attraktiv werden

  • Wie könnte man Nachwuchs finden und fördern?
  • Ist die Konstruktion zum Fürchten?
  • Wie könnte man die Effizienz verbessern – wenn einem schon die Leute fehlen?
  • Wie könnte man die Ergebnisse verbessern?

Diesen Dingen kann man abhelfen. Zum Beispiel mit:

  1. Literaturempfehlungen zu “Was ist Konstruktionsarbeit?” (Es ist bisher alles gesagt und geschrieben worden.)
  2. Handwerkszeug zum Konstruieren (Elementares, was nirgendwo gelehrt wird) zeigen und vormachen
  3. Fragen zu Konstruktionsproblemen beantworten
  4. Elemente des systematischen Konstruierens erklären
  5. Bewährte Erfolgsfaktoren (wie: Lehrmeister, Erfahrung) sammeln

Also nicht mit einer umfassenden Strategie oder Reformen, sondern mit Angeboten an einzelne Nachdenkliche.

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5 Gedanken zu „Konstruieren – die Kunst der Konstrukteure“

  1. Hallo Ulrich,

    CAD ist eine sehr wichtige Erfindung für die Menschheit. Dadurch lassen sich in der Tat viele Prozesse bzw. Prototypen wie z.B. Prototypenwerkzeuge für neuartige Konstrukte darstellen und anfertigen. Oder eben wie erwähnt Simulationen abspielen um Zeit und Ressourcen zu sparen.
    Ich beschäftige mich in letzter Zeit damit, weil mein Onkel eine kleine Werkstatt betreibt und vor ein Problem aufgetreten ist, wofür er kein Werkzeug besitzt und auch nichts konkretes im Internet oder in Fachhäusern findet.

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  2. Kommentar zu Konstruieren, die Kunst der Konstrukteure

    27.11.2019
    Derzeit verdienen (bekommen) die Teilezusammenstecker bei Bosch, Festo usw. ein weitaus besseres Gehalt als ein Konstrukteur (oft Einzelkämpfer) bei einer Sonder-Maschinenbau-Klitsche, speziell im Saarland. Wer hat da noch sonderlich Motivation, sich mit brotloser Kunst wie Konstruktion zu beschäftigen. Höchstens noch im Rahmen wie “Dienst nach Vorschrift”. Also morgens Gehirn ausschalten, CAD an und dann bis Feierabend 08/15, immer die gleichen Bauteile für eine Messlehre für Abgasanlagen. Zudem bekommt man hier auch kaum einen vernünftigen Job, höchstens über den Sklavenhandel Zeitarbeit. So attraktiv kann man die Tätigkeit Konstruktion im Saarland nicht machen, dass es gute Leute hier hält. Die Meisten wandern ab.

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  3. Ich hatte mich mit so genannten Leichtbau-Konstrukteuren zusammen getan, in der Hoffnung mit “Profis” eine sinvolle Windradkonstruktion als Extremleichtbau zu entwerfen. Ich war schwer enttäuscht von dem ständigen “aber, aber, aber” und den offensichtlich zu hohen Tellerrändern, über die jemand, der “Dienst nach Vorschrift” macht, eben nicht hinausschaut. Ich bin zutiefst enttäuscht, was unsere Unis und Hochschulen massenhaft an “Eierköppen” ausbilden, die zu dämlich sind einen Nagel in die Wand zu schlagen. Solche hochgelehrten Flachzangen können dir zwar die Infinitesimalrechnung erklären, aber praktisch damit etwas auf die Reihe bringen, können sie leider nicht.

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  4. CAD ist die Zukunft aber noch lange nicht perfekt… (Kinderschuhe)

    Das Wissen um die Konstruktionslehre
    Sollte mehr in CAD und Modeliersoftwsre einfliessen.

    Es freut mich sehr diesen Blog gefunden zu haben.

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  5. Heute, 04.09.2022: Konstruktion in Deutschland entwickelt sich weiter. Allerdings in die falsche Richtung: Ramschladen, Würschtelbude, Kindergarten. GsD gibt es Ausnahmen. Da wird noch Wert geschätzt, was sich Konstrukteure einfallen lassen. In der Masse: je billiger desto besser. Berufserfahrung wird nicht mehr ausreichend bewertet. Da geht man lieber das Risiko ein, ständig das Rad neu erfinden zu müssen. Auf diese Art und Weise kann an sich nicht im Wettbewerb behaupten. Und für freiberufliche Einzelkämpfer-Konstrukteure gibt es kaum noch Nachfrage, außer, man bringt noch Geld mit. Also man kauft sich Aufträge. GsD. ich muss nicht mehr. Habe das Handtuch (nach fast 40 Jahren) geworfen und reite kein totes Pferd mehr.

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